Wer fragt, der führt: Die 3 wichtigsten Missverständnisse zu Humble Inquiry
Gute & sichere Produkte und Abläufe durch ungewöhnliche Führungsmethoden
Humble Inquiry (Edgar H. Schein, Organisationspsychologe) beschreibt eine Führungsmethode, die durch offenes Nachfragen auf Augenhöhe versucht, operative Kenntnisse und Entscheidungskompetenz von Mitarbeitern zu heben. Dieser Artikel macht auf die drei wesentlichen Missverständnisse aufmerksam, die dieser Methode häufig entgegen gebracht werden: Offenheit mit Schwäche zu verwechseln, durch Offenheit den eigenen Führungsanspruch hintanstellen zu müssen und schließlich die sachorientierten Fragen des Humble Inquiry mit dem häufig vorgetragenen Anspruch zu verwechseln, der Chef müsse “als Coach” auftreten.
Im klassische Rollenmuster der meisten Unternehmen sieht sich die Führungskraft als “Kapitän” ihres Teams - sie bestimmt den Kurs und gibt klare Anweisungen, die durch die “Matrosen”
(Teammitglieder) zu befolgen sind. Dieser Ansatz ist allerdings in der Praxis notwendig Limitierungen unterworfen - wird kein Rückkanal zugelassen (um im Bild zu bleiben, der Matrose erkennt ein
Problem mit dem Motor, traut sich aber nichts zu sagen oder wird nicht gehört), unterliegen die Entscheidungen des Chefs gravierenden Einschränkungen im Hinblick auf Informationen und Erfahrung.
Anders ausgedrückt ist in einer direktiven Umgebung das Team notwendig nur so schlau wie die Führungskraft. Die Folge sind Fehlentscheidungen aufgrund mangelnder Information oder Statusdenkens,
mit teilweise verheerenden Folgen für die Qualität von Produkten und Prozessen im Unternehmen.
Der Organsationspsychologe Edgar H. Schein stellt dieser “Kapitäns-Kultur” (von ihm bezeichnet als “Culture of Do and Tell”) einen Vorschlag zu einem alternativen Führungsstil entgegen, den er
als Humble Inquiry bezeichnet - zu deutsch vielleicht am besten übersetzt mit “Führen durch Fragen”. Die direkte deutsche Übersetzung - “bescheidene Nachfrage” - hört sich im Management-Kontext
zunächst etwas sperrig und seltsam an, weshalb die entsprechende Publikation (siehe Amazon: http://amzn.to/1YtfJGn) auch den englischen Originaltitel behalten durfte. Die Grundidee dieses
Ansatzes ist, durch eine geeignete Kommunikationskultur das Wissen und die Erfahrungen der Mitarbeiter für Prozesse und Produkte im vollen Umfang nutzbar zu machen und dadurch zu mehr Sicherheit
und insgesamt besseren Ergebnissen zu kommen. Statt Entscheidungen einfach zu verkünden, befragt die Führungskraft kurz gesagt ihre (für das Problem oder die Entscheidung relevanten) Mitarbeiter
nach Informationen und danach, wie sie entscheiden würden. Entscheidend ist dabei, dass das Gespräch keinen Verhörcharakter hat, sondern auf Augenhöhe erfolgt.
Viele Führungskräfte, die schon einmal von diesem Ansatz gehört haben, sich aber nicht tiefer mit der praktischen Durchführung beschäftigen konnten, empfinden ihn als wenig pragmatisch. Dies hat
meiner Erfahrung nach vor allem drei Ursachen, mit denen sich dieser Artikel beschäftigt und damit dazu ermutigen will, sich mit Humble Inquiry als Führungsparadigma auseinander zu setzen.
Ausführliche Informationen finden Sie in Edgar H. Scheins Buch “Humble Inquiry: Vorurteilsloses Fragen als Methode effektiver Kommunikation” (Amazon: http://amzn.to/1YtfJGn).
1. Missverständnis: Wer fragt, zeigt sich schwach
Hinter diesem Missverständnis steht die Annahme, als Führungskraft immer über alles Bescheid wissen zu müssen. Manche Firmenkulturen befördern diese Sichtweise, die meiner Meinung nach für die
Unternehmen aber überwiegend ungesund ist. Als Führungskraft besteht Ihre Aufgabe hauptsächlich darin, die Arbeit Ihrer Mitarbeiter so zu organisieren, dass sie einen optimalen Beitrag zum
Gesamterfolg leisten können, nicht, selbst alles besser zu wissen oder zu beherrschen. Im Gegenteil: Mitarbeitern, die durch ihre Einbindung in das operative Tagesgeschäft im Detail häufig besser
Bescheid wissen als der Chef, fällt es schwer, diesen ernst zu nehmen, wenn er ihrer Erfahrung nach realitätsfremde Vorgaben und Anweisungen gibt. In diesem Sinne ist nicht der Chef schwach, der
sinnvolle Fragen stellt, sondern der, der durch abgehobene Entscheidungen zeigt, dass er sich mit dem Tagesgeschäft nicht auskennt und seine Limitierungen nicht sieht.
2. Missverständnis: Humble Inquiry heißt Basisdemokratie
Auch wenn Sie Ihre Mitarbeiter bitten, auf Basis ihrer Informationen und Erfahrungen Entscheidungsvorschläge zu machen und zu begründen, heißt das nicht, dass Sie diese 1:1 durchwinken müssen.
Sie tragen die Verantwortung für Ihre Entscheidungen - wenn das bedeutet, dass Sie einem bestimmten Vorschlag nicht folgen, auch wenn dieser von der Mehrheit Ihres Teams getragen wird, ist dies
ggf. begründungsbedürftig, um Ihre Mitarbeiter nicht zu frustrieren. Aber letztlich liegt auch bei diesem Führungsansatz die Direktionsbefugnis bei Ihnen.
3. Missverständnis: Humble Inquiry bedeutet, als Chef Coach zu sein
Die aktuell angesagte Tendenz, als direkter Vorgesetzter eigene Mitarbeiter im Sinne einer professionellen berufsbezogenen Beratung coachen zu wollen, halte ich für schwierig, manchmal
gefährlich, da hier schnell Grenzen überschritten werden. Scheins Vorschlag Humble Inquiry bleibt zu jedem Zeitpunkt auf der Sachebene und enthält sich eben psychologisch fundierter
Fragetechniken, z.B. zu inneren Motiven und Empfindungen des Gegenüber, die vom Vorgesetzten angewandt in den Augen des Mitarbeiters schnell nach Manipulation aussehen.
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